Das Zeitalter der Saurier, jene frühe Epoche der Erdgeschichte,
während der die Reptilien die beherrschende Tiersippe auf dem Land,
in der Luft und im Wasser waren, nahm in der späteren Kreidezeit,
vor ungefähr 60 Millionen Jahren, ein abruptes Ende. Damals starben
nicht nur die sagenumwobenen Dinosaurier, sondern auch viele weitere Zweige
der artenreichen Reptilienverwandtschaft innerhalb kurzer Zeit aus - vermutlich
wegen einer globalen Klimakatastrophe, welche durch den Einschlag eines
riesenhaften Meteoriten hervorgerufen worden war.
Seit jenem grossen «Sauriersterben» spielen die Reptilien
im Tierreich unseres Planeten eine ziemlich untergeordnete Rolle: Die meisten
von ihnen sind verhältnismässig kleine, unauffällige Lebewesen.
Ein paar spektakuläre Formen gibt es allerdings auch unter den modernen
Reptilien. Zu nennen sind sicherlich die meereslebende Lederschildkröte
(Dermochelys coriacea) sowie die landlebenden Seychellen- und Galapagos-Riesenschildkröten
(Geochelone gigantea et elephantopus), ferner der Netzpython (Python reticulatus)
und die Anakonda (Eunectes murinus) aus der Familie der Riesenschlangen,
dann der Komodowaran (Varanus komodensis) aus der Echsenverwandtschaft
und - nicht zuletzt - die Krokodile und Alligatoren (Crocodylia). Sie alle
vermitteln uns eine Ahnung davon, wie es seinerzeit gewesen sein muss,
als die Reptilien die Welt dominierten.
Als das grösste der heutigen Krokodile und mithin als das mächtigste Reptil unserer Zeit gilt allgemein das Leistenkrokodil (Crocodylus porosus), von dem auf diesen Seiten die Rede sein soll. Wie gross es maximal werden kann, ist allerdings schwer zu sagen. Denn wie so oft, wenn es um Superlative im Tierreich geht, dürfte auch hinsichtlich der Grösse des Leistenkrokodils häufig übertrieben worden sein. 9 oder gar 10 Meter lange Exemplare scheint es jedenfalls nur in der Phantasie von Jägern gegeben zu haben, die mit solchen Angaben ihren Ruhm mehren wollten. Das grösste, nachweislich richtig vermessene Leistenkrokodil wies eine Länge von 6,2 Metern auf. Es handelte sich um ein männliches Tier, das sich in den siebziger Jahren in einem Fischernetz bei der Fly-River-Mündung in Papua-Neuguinea verfangen hatte und ertrunken war. Nimmt man den Schädel dieses Tiers als Richtmass, so muss jenes Leistenkrokodil, das einst vom Radscha von Kanika in Orissa (Indien) erlegt worden war und dessen Schädel uns erhalten blieb, eine Länge von ungefähr 7,5 Metern gehabt haben. Letzteres gilt deshalb als Rekordhalter unter allen neuzeitlichen Krokodilen. Tiere dieses «Kalibers» können im übrigen deutlich über eine Tonne auf die Waage bringen.
Ein hochseetaugliches Krokodil
Das Leistenkrokodil ist im süd-, südost- und australasiatischen
Raum beheimatet. Sein weites Verbreitungsgebiet reicht von Sri Lanka über
die Küsten von Ostindien, Bangladesch und Myanmar (Burma) bis zur
Malaiischen Halbinsel, den Andamanen und den Nikobaren. Ferner findet man
es an den Küsten von Thailand, West- und Ostmalaysia, Kambodscha,
Vietnam, Indonesien und den Philippinen. Und zudem kann man ihm an den
Küsten von Neuguinea, dem Bismarck-Archipel und den Salomonen sowie
Nordaustralien begegnen.
Die geografisch entlegenste Population des Leistenkrokodils befindet
sich schliesslich auf Palau, einer kleinen, etwa 750 Kilometer östlich
der Philippinen im Nordwestpazifik gelegenen Inselgruppe. Innerhalb der
Republik Palau lebt das Leistenkrokodil hauptsächlich in den flachen,
mangrovenbewachsenen Küstenabschnitten der Insel Babelthuap, welche
mit einer Fläche von 404 Quadratkilometern rund 80 Prozent der Landfläche
des kleinen Archipels ausmacht. Daneben besiedelt es noch die Chelbacheb-Inseln,
eine aus über zweihundert Eilanden bestehende Inselgruppe südwestlich
von Babelthuap.
Die überaus weite Verbreitung des Leistenkrokodils, welche unzählige
ozeanische Inseln umfasst, ist eine Folge der guten Salzwasserverträglichkeit
des mächtigen Reptils. In der Tat bewohnt es - vergleichbar dem im
mittelamerikanischen Raum heimischen Spitzkrokodil (Crocodylus acutus)
- vorzugsweise brackige Flussmündungen, Mangrovensümpfe und andere
Küstenlebensräume im Grenzbereich zwischen dem Süss- und
dem Meerwasser. Dabei schwimmen immer wieder einzelne Tiere - wahrscheinlich
auf der Suche nach neuem Wohnraum - auf das offene Meer hinaus, und so
hat die Art im Laufe der Zeit praktisch sämtliche Inseln, Inselchen
und Eilande im gesamten indomalaiischen und australasiatischen Raum zu
besiedeln vermocht.
Dass die Art auch heute noch fortfährt, Neuland zu erobern, zeigt
die Tatsache, dass wiederholt einzelne Individuen weit ausserhalb der Grenzen
ihres eigentlichen Vorkommens beobachtet worden sind. So war vor Zeiten
beispielsweise ein grosses Männchen bei der zu den Föderierten
Staaten von Mikronesien gehörenden Insel Pohnpei aufgetaucht. Es hatte
eine Strecke von mindestens 1400 Kilometern (von der nächstgelegenen
Population auf Palau aus gemessen) über das offene Meer zurückgelegt.
Ein anderes Exemplar hatte einst die Kokos-Keeling-Inseln im Indischen
Ozean, welche 1100 Kilometer südlich von Java liegen, erreicht.
Neben der guten Salzwasserverträglichkeit spielen drei weitere
Faktoren eine wichtige Rolle bei der erstaunlichen Ausbreitungsfähigkeit
der Leistenkrokodile: Erstens zeigen die erwachsenen Tiere eine ausgeprägte
Territorialität. Sie teilen die ihnen zur Verfügung stehenden
Küstenstriche in Reviere auf, aus denen sie alle Artgenossen unnachgiebig
vertreiben. Dies vergrössert natürlich die Bereitschaft der jüngeren,
besitzlosen Individuen, auf der Suche nach einem eigenen Grundstück
nicht nur der Küste entlang, sondern auch auf das Meer hinaus zu schwimmen.
Zweitens sind die Leistenkrokodile im Bereich der von ihnen bewohnten
Küstengewässer die beherrschenden Raubtiere, vor denen kein anderes
Tier sicher ist, das sich ins oder ans Wasser begibt. Dies bedeutet, dass
sie praktisch überall, wo sie auf ihren Wanderungen hingelangen, einen
reich gedeckten Tisch vorfinden und sich somit meist mühelos anzusiedeln
vermögen.
Drittens scheinen die Leistenkrokodile - wie andere grosse Reptilien
- sehr langlebige Tiere zu sein. Vermutlich können sie über hundert
Jahre alt werden. Dies verbessert natürlich stark die Chance, dass
ein einzelnes Tier an einer neuentdeckten Küste noch im Laufe seines
Lebens Gesellschaft durch einen Geschlechtspartner erhält.
«Komposthaufen» als Brutschrank
Wie alle Krokodile vermehrt sich das Leistenkrokodil mittels weisser, hartschaliger Eier von Gänseei-Grösse. Ein Gelege besteht aus 25 bis 90, zumeist aber rund 50 Eiern.
Für die Eiablage legt das Weibchen an einem günstigen Ort
in Gewässernähe einen grossen Bruthügel aus lebenden und
toten Pflanzenteilen an. Mehrere Nächte nacheinander reisst es mit
dem Mund geeignetes Material von Büschen und Stauden ab oder scharrt
verstreute Pflanzenreste mit den Füssen zusammen. Ein fertiggestellter
Bruthügel kann eine Höhe von 30 bis 80 Zentimetern und einen
Durchmesser von 120 bis 250 Zentimetern aufweisen. Mittendrin befindet
sich das Gelege.
Wie in einem Komposthaufen verrottet in der Folge das angehäufte
Pflanzenmaterial und erzeugt dabei Fäulniswärme, so dass die
Temperatur im Umfeld der Eier deutlich über der der Umgebung liegt.
Der Bruthügel dient also - ähnlich wie bei einigen Grossfusshühnern
(Megapodiidae) - als «Brutschrank». Zweifellos wird die Entwicklung
der Keimlinge dadurch erheblich beschleunigt.
Früher war man allgemein der Ansicht, dass sich das Leistenkrokodil-Weibchen
nach dem Anhäufen des Bruthügels und dem Ablegen der Eier nicht
weiter um seinen Nachwuchs kümmert. Das stimmt aber nicht. Wir wissen
heute, dass es während der gesamten Entwicklungszeit der Keimlinge
und sogar noch nach dem Schlüpfen der Jungen eine bemerkenswerte Brutfürsorge
zeigt. Und das mit gutem Grund, sind doch nicht nur die Eier begehrte Leckerbissen
für eine ganze Reihe von Fressfeinden, darunter Warane und Schweine.
Auch die frischgeschlüpften Jungen werden von Stelzvögeln, grossen
Fischen und nicht zuletzt älteren Artgenossen gern verspeist. Wie
alle ihre Verwandten sind die Leistenkrokodile nämlich kannibalisch
veranlagt und essen ohne Zögern auch Jungtiere der eigenen Art.
Um das Gelege vor Nestplünderern zu schützen, gräbt sich
das Weibchen neben dem Bruthügel eine Suhle, die sich mit Sickerwasser
füllt, so dass es fast unsichtbar das Gelege bewachen kann. Zudem
bespritzt es von dort aus den Bruthaufen von Zeit zu Zeit mit Wasser, wohl
um den Fäulnisprozess in Gang zu halten.
Ungefähr drei Monate verstreichen zwischen der Eiablage und dem
Schlüpfen der Jungen. Haben diese die harte Schale ihrer Eier aufgebrochen,
so äussern sie quäkende Rufe, worauf das Weibchen unverzüglich
das Gelege freilegt und dadurch seinem Nachwuchs den Start ins Leben erleichtert.
Anschliessend befördert es seine Jungen sicher zum Wasser, indem es
jeweils mehrere von ihnen vorsichtig mit seinen Kiefern packt und im weiten
Schlund fortträgt. In der Folge unterhält es in einem ruhigen
Winkel seines Reviers eine «Kinderstube» und wacht dort etwa
zwei Monate lang über das Wohl seiner Jungen. Dann müssen sie
für sich selbst sorgen.
Bis sie eine Länge von etwa einem Meter aufweisen, ernähren
sich die jungen Leistenkrokodile vornehmlich von Krabben, Krebsen und Insekten,
nehmen aber auch kleinere Fische zu sich, derer sie habhaft werden können.
Danach wenden sie sich mehr und mehr grösseren Tieren zu - von Echsen,
Schlangen und Fischen bis hin zu Vögeln und Säugetieren.
Die Geschlechtsreife erreichen die weiblichen Jungtiere im Alter von etwa zehn Jahren, bei einer Länge von ungefähr 2,2 Metern. Die jungen Männchen sind sogar erst mit etwa 16 Jahren und ungefähr 3,2 Metern Länge fortpflanzungsfähig.
Krokodilledermode als Verhängnis
Früher war das Leistenkrokodil bedeutend häufiger und sein
Vorkommen weit weniger «löcherig» gewesen als heute. Doch
nun steht es als «gefährdet» auf der Roten Liste der vom
Aussterben bedrohten Tierarten: Mehrere regionale Bestände sind vollständig
ausgerottet; die restlichen sind stark geschwächt.
Der Niedergang der Art erfolgte zur Hauptsache um die Mitte unseres
Jahrhunderts, nachdem aus Krokodilleder gefertigte Taschen, Schuhe und
andere Modeartikel in den wohlhabenden Ländern der westlichen Welt
zu begehrten Luxusartikeln geworden waren. Zwar waren Leistenkrokodile
schon zuvor vom Menschen bejagt worden, teils wegen ihres Fleischs, teils
weil ihnen hie und da ein Mensch oder ein Nutztier zum Opfer fiel. Dies
geschah aber nie systematisch. Als sich aber dann die Krokodiljagd zu einem
einträglichen Geschäft entwickelte, da wurden die Tiere überall
unbarmherzig verfolgt und niedergeschossen.
Hunderttausende von Leistenkrokodilen wurden in den fünfziger und
sechziger Jahren Jahr für Jahr abgeschlachtet. Nach und nach verschwanden
praktisch alle grossgewachsenen Individuen im fortpflanzungsfähigen
Alter. Als unausweichliche Folge hiervon brach die Nachzucht der Tiere
weitgehend zusammen. Eine Erholung der massiv ausgedünnten Bestände
konnte unmöglich mehr stattfinden.
Angesichts seiner akuten Gefährdung wurde das Leistenkrokodil dann
Ende der siebziger Jahre in Anhang I des Washingtoner Artenschutzabkommens
(WA) aufgenommen. Jeglicher kommerzielle Handel mit Leistenkrokodilen und
ihren Häuten war dadurch zwischen den Unterzeichnerstaaten des Abkommens
verboten und kam alsbald zum Erliegen. Damit nahm sofort auch der Jagddruck
auf die imposanten Reptilien ab. Denn wo die Nachfrage nach einem Tierprodukt
wegfällt, da fehlt unweigerlich auch der Anreiz für die Verfolgung
der betreffenden Tierart.
Etwa zur selben Zeit wurde mit dem Aufbau von Krokodilfarmen begonnen, in denen die Tiere gezüchtet und später teils genutzt, teils ausgewildert wurden. Und zudem wurden in den siebziger und achtziger Jahren vielerorts Naturschutzgebiete in Küstenregionen geschaffen, wodurch auch die lokalen Krokodile begünstigt wurden. Alle diese Anstrengungen haben dazu geführt, dass die Bestände des Leistenkrokodils mancherorts erfreulich angewachsen sind. Gebietsweise ist heute sogar wieder eine beschränkte Nutzung der Tiere - unter Berücksichtigung ihrer natürlichen Nachzuchtrate - möglich. Der Fortbestand des Leistenkrokodils scheint vorerst gesichert.
Zu den Krokodil- Gifs