Asterix bei den Historikern

                    Altertumsforscher untersuchten die Abenteuer der rauflustigen Gallier auf ihren
                    Wahrheitsgehalt. Alles stimmt, beim Teutates!

                    Von Urs Willmann
 
 

  In welchem Jahr fiel eine gallische Horde mit Sack, Pack und lebenden 

                    Wildschweinen als Zwischenverpflegung in Olympia ein, um es dem römischen
                    Superstar Musculus und seinem Coach Redeflus zu zeigen? Asterix-Autor René
                    Goscinny und Zeichner Albert Uderzo haben uns nicht nur diese Frage nicht
                    beantwortet. Hatten die Gallier wirklich Angst, dass ihnen der Himmel auf den Kopf
                    fällt? Fielen gallische Dorfchefs ab und an vom Schild? Ist Raufbold Obelix tatsächlich
                    als Kind in den Zaubertrank gefallen? Was ist Wahres dran an der antiken Welt,
                    durch die sich unsere schnurrbärtigen Helden geprügelt haben?

                    Zum Glück gibt es tapfere Wissenschaftler, die uns endlich reinen Wein einschenken.
                    Gallische Druiden schnitten tatsächlich Misteln - mehr als Hokuspokus brachten aber
                    auch sie nicht zustande. Und Asterix kann nur 48 vor Christus Olympiasieger
                    gewesen sein. Schließlich spielen die Abenteuer des listigen Galliers in Zeiten
                    römischer Besatzung, die 50 vor Christus begann. Außerdem war er Zeitgenosse
                    von Cäsar - der bekanntlich schon an den Iden des März 44 vor Christus das
                    Zeitliche segnete. Da die Spiele jeweils im Spätsommer über die Bühne gingen,
                    kommt nur das Jahr 48 infrage.

                    Es ist verdienstvoll, dass sich Altertumswissenschaftler wie Sunnyva van der Vegt
                    und René van Royen von der Universität Amsterdam dafür interessieren, wann sich
                    Wildschwein vernichtende Comic-Helden wo rumgetrieben haben. Mit wem sie sich
                    geprügelt haben. Ob Wildschwein damals gebraten oder gekocht wurde. Trotz
                    anfänglichem Kopfschütteln ihrer Kollegen begannen sie, in der Historie nach den
                    blauweißen Hosen zu suchen, mit denen Obelix seine Wampe kleidet.

                    Jahrzehntelang wunderte sich niemand darüber, dass die Comic-Schweizer schon
                    eineinhalb Jahrtausende vor der Erfindung des Fondues eimerweise Käse
                    schmelzen. Schließlich ist die Grundkonstellation der 31 Bände fiktiv und keineswegs
                    historisch belegt: Allein der chauvinistischen Fantasie von Goscinny und Uderzo ist
                    die Idee entsprungen, dass nicht "ganz Gallien" von Cäsar besetzt worden ist. Das
                    Künstlerpaar schuf ein kleines keltisches Dorf im Gebiet der heutigen Bretagne, das
                    seit 1959 nicht aufhört, dem Feind aus Rom Widerstand zu leisten. Der Freiheit ihrer
                    Kunstgattung ist zu verdanken, dass die Geschichte Galliens spaßeshalber
                    andersrum erzählt wird als in Cäsars De bello Gallico - eben so, wie sie den
                    patriotischen Franzosen besser in den Kram passt.

                    Seit 42 Jahren retten der kleine listige Krieger Asterix, der trottelige
                    Hinkelsteinlieferant Obelix, der nicht sehr standfeste Häuptling Majestix, der
                    beeindruckende Barde Troubadix, Altfischverkäufer Verleihnix und ihre Kumpel
                    mithilfe von Miraculix' Zaubertrank die Ehre der französischen Vorfahren, indem sie
                    die vor 2000 Jahren siegreichen Römer post festum verdreschen. Mitte der
                    neunziger Jahre hielt der Historiker van Royen die Zeit für reif, das
                    Sprechblasenprodukt einem akademischen Test zu unterziehen. Er fing an,
                    Vorlesungen über Asterix-Bände zu halten. Erst nur vor Studenten, dann öffentlich -
                    mit der Folge, dass ihm Horden den Hörsaal stürmten.

                    Zusammen mit der Altphilologin van der Vegt prüfte er nach, wie viel die Antike des
                    Asterix mit jener Geschichte zu tun hat, die uns die Herren Plinius, Tacitus oder
                    Plutarch vermitteln. Sie gründeten das Zentrum für Asterix-Forschung und
                    publizierten ihren universitären Forschungsstoff 1997 in dem Buch Asterix. Die ganze
                    Wahrheit. Der zweite Band, Asterix auf großer Fahrt, ist soeben erschienen. Das Fazit
                    der Arbeit: Natürlich haben Goscinny und Uderzo - wie es sich für einen Comic
                    gehört - schamlos übertrieben und die Zeiten gehörig durcheinander gemischt. Nur
                    so war es möglich, dass ein römischer Feldherr auf einen Hinkelstein-Industriellen
                    treffen konnte. Der letzte Kreateur dieser präkeltischen Zeitzeugen - von denen bis
                    heute niemand weiß, wozu sie dienten - war in historischer Tat und Wahrheit
                    mindestens 1000 Jahre tot, als Cäsar über die keltisch bewohnten Gebiete herfiel.

                    Vor allem dort, wo es um die Ehre Frankreichs geht, kannten Uderzo und der 1977
                    verstorbene Texter Goscinny kein Pardon mit der Wahrheit. In ihrer Comicversion
                    hatte sich der gallische Feldherr Vercingetorix einer zahlenmäßig übermächtigen
                    römischen Armee zu unterwerfen. Tatsächlich aber hatte Cäsar mit bloß 60 000
                    Legionären Vercingetorix' 330 000 Mann in die Knie gezwungen.

                    Aber unter dem Strich ist überraschend viel zumindest nicht falsch. Goscinny und
                    Uderzo hatten in der Lateinstunde aufgepasst; ihr Werk selbst ist absolut
                    unterrichtstauglich. Helme und Schwerter der Comic-Kelten ähneln genauso den
                    Originalen wie die römischen Uniformen und die nach einem Kinnhaken von Obelix
                    als einzige der Schwerkraft gehorchenden Legionärssandalen.

                    In den historischen Quellen spürten die Holländer manche Stelle auf, gegen deren
                    Existenz man seine eigene Asterix-Sammlung verwettet hätte: Wer hätte Goscinny
                    und Uderzo geglaubt, dass die Briten heißes Wasser tranken! Jeder hielt das für
                    einen Gag, der den Galliern (natürlich Jahrhunderte zu früh) die Gelegenheit gab,
                    ihren Gastgebern das Teetrinken beizubringen. Doch tatsächlich gab es in der Antike
                    sowohl Cervisia- als auch überzeugte Wassertrinker. So riet Athenaios denen, die
                    sich guter Gesundheit erfreuen wollten dazu, viel Wasser zu trinken, "im Winter und
                    Frühling so heiß wie möglich".

                    Letztlich haben sogar die ständigen Teepausen, die die römischen Eroberer in
                    Asterix bei den Briten in Verzweiflung treiben, einen realen Hintergrund. Sie sind eine
                    Anspielung auf die britische Kriegstaktik des hit and run: Die Insulaner starteten
                    urplötzlich einen Angriff, um sich danach blitzschnell zurückzuziehen. Mit diesen
                    zermürbenden Attacken hatten Cäsars Soldaten ihre liebe Mühe. Die Kampftaktik
                    aller von Goscinny und Uderzo präsentierten Widerstandshorden unterscheidet sich
                    nicht wesentlich von der realer Kelten, wie sie der Schriftsteller Polybios beschrieb:
                    Berauscht von einem höllischen Getöse aus Trompeten, Hörnern und furchtbarem
                    Kriegsgesang, stürzten sie sich wie eine wild gewordene Meute ins Getümmel.

                    Wohl aus Rücksicht auf sein jugendliches Publikum hat Uderzo in diesen Fällen mit
                    der Authentizität aber nicht übertrieben. Beim Zeichnen gallischer oder belgischer
                    Krieger ließ er es beim entblößten Oberkörper bewenden. Er hätte weiter gehen
                    können: Wie uns Polybios und erhaltene Statuen von sterbenden Galliern lehren,
                    warfen sich die Mutigen oft sogar völlig nackt, einzig mit Schwert und Helm
                    bekleidet, in die Schlacht.

                    Der Erfolg der Asterix-Werke beruht natürlich nicht primär auf einer gesicherten
                    historisch-archäologischen Faktenlage. Vielmehr begeistert die Kombination von
                    treffenden Wahrheiten, Klischees und Versatzstücken modernen Zeitgeists, mit
                    denen die von den Galliern aufgesuchten "Nationen" in Wort und Bild karikiert
                    werden. Ab und an verquicken die Autoren sogar Persiflage und Historie in einem
                    Motiv. So etwa, als die Spanienreisenden auf einen kilometerlangen Stau antiker
                    Sommertouristen stoßen. Tatsächlich unternahmen die Helvetier 58 vor Christus den
                    (letztlich gescheiterten) Versuch, nach Süden auszuwandern. Ein 200 Kilometer
                    langer Konvoi, so lauten die Berechnungen der holländischen Historiker, bewegte
                    sich damals im Schritttempo nach Süden. Im Phänomen des modernen
                    Massentourismus orten die Forscher einen Rest "versunkenen Kulturguts".
                    Schließlich hätten viele Europäer keltische und germanische Vorfahren, die laut
                    Cäsar diese Art der Mobilität schon damals schätzten: "Sie waren unterwegs mit
                    vielen Karren und enormem Gepäck."

                    Auf ihrer Spurensuche in den Bibliotheken stießen die forschenden Comicfreaks
                    natürlich auch auf hanebüchene Fehler. Doppelt falsch sind in Asterix bei den
                    olympischen Spielen die trainierenden Hochspringer. Ihre Sportart war damals keine
                    olympische Disziplin, und die Gewichte, die sie im Comic in den Händen tragen,
                    gehörten zur Ausrüstung von Weitspringern. Und Asterix betritt nach seinem Sieg
                    ein Podest, auf dem Platz für einen Zweiten und einen Dritten ist. Ausgezeichnet
                    wurde im alten Griechenland aber nur der Erste - und dem wurde der Ölzweig sicher
                    nicht auf einem roten Kissen überreicht.

                    Überraschenderweise aber fand sich in den Quellen nicht nur der antike
                    Stierkämpfer, die Reisebadewanne, der Urzebrastreifen und die Liebe der Gallier zu
                    kleinen Schoßhündchen, wie sie Obelix zu Idefix lebt. Van Royen und van der Vegt
                    stöberten auch den besenschwingenden Legionär und die bunten und gestreiften
                    Klamotten der Comic-Gallier auf. Sogar die berühmte einzige gallische Angst lässt
                    sich in der Historie auftreiben. Lange Zeit vor Asterix hatten tapfere Kelten eine
                    Unterredung mit Alexander dem Großen. Der fragte sie, wovor sie sich fürchten. Die
                    einzige Angst, versicherten sie dem Kriegsfürsten, sei, dass ihnen der Himmel auf
                    den Kopf fallen könnte.
 
 

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